Bild oben
Eingespieltes Team: Thomas Lenz und Frank Vierthaler bauen eine Transportkiste für den Auftraggeber Rolls-Royce zusammen.
In den Oberurseler Werkstätten finden Menschen mit körperlicher, kognitiver oder psychischer Beeinträchtigung eine sinnvolle und erfüllende Tätigkeit. Ihre Arbeit verschafft ihnen Würde und Respekt – ein schönes Beispiel für gelungene Integration.
Bild oben
Eingespieltes Team: Thomas Lenz und Frank Vierthaler bauen eine Transportkiste für den Auftraggeber Rolls-Royce zusammen.
Während Thomas Lenz die Schrauben ins Holz dreht, sorgt Frank Vierthaler dafür, dass nichts verrutscht. Konzentriert fügen der 34-Jährige und sein 20 Jahre älterer Kollege die quadratische Transportkiste Stück für Stück zusammen. Jedes ist millimetergenau zugeschnitten, die Schrauben müssen exakt nach Vorgabe platziert werden. Bis das Behältnis komplett ist, sind etliche Handgriffe vonnöten. Und die sitzen. „Die beiden sind ein eingespieltes Team“, sagt Yvonne Sarasty Rodriguez, Fachbereichsleiterin Holzverarbeitung in den Oberurseler Werkstätten im südlichen Hochtaunuskreis. Ihr Einsatzort ist die Schreinerei, wenige Hundert Meter vom Hauptgebäude entfernt.
„Die Kiste mit integrierter Transportsicherung fertigen wir im Auftrag von Rolls-Royce. Deren Motorenfabrik befindet sich ebenfalls in Oberursel“, erzählt sie. „Von dort werden Bauteile für die Luftfahrtindustrie auf die Reise zu Kunden in aller Welt geschickt.“ Damit die empfindliche Fracht unversehrt an ihrem Bestimmungsort ankommt, ist die sorgfältige Montage der hölzernen Hülle essenziell. Seit mehr als 30 Jahren sind die Werkstätten bereits für den Triebwerkbauer tätig. Damit gehört er zu den ältesten und treuesten Auftraggebern der 1971 gegründeten Einrichtung. Damals hieß sie noch „Beschützende Werkstatt“, statt der Beschäftigung stand zunächst die Betreuung von schwer- und schwerstbehinderten Menschen im Vordergrund.
55,5
Tonnen Papier entsorgen die Oberurseler Werkstätten jeden Monat für ihre Kunden – so viel wie acht ausgewachsene Elefantenbullen auf die Waage bringen.
„Heute arbeiten bei uns rund 530 Frauen und Männer mit ganz unterschiedlichen Handicaps“, berichtet Betriebsleiter Andreas Knoche. Sie alle haben eine zweijährige Ausbildung im Berufsbildungsbereich der Einrichtung durchlaufen. Ob körperbehindert oder von kognitiven oder mentalen Beeinträchtigungen betroffen wie Epilepsie, Autismus oder Down-Syndrom: Jede und jeder soll in dem Eigenbetrieb des Hochtaunus-kreises eine Arbeitsstätte finden, an der sie oder er sich wohlfühlt. Einen Platz, der bestmöglich auf die individuellen Fähigkeiten und Kenntnisse zugeschnitten ist. „Gleichzeitig möchten wir unsere Beschäftigten bei ihrer persönlichen Entfaltung unterstützen“, so der Betriebsleiter. Das heißt, die Oberurseler Werkstätten sind nicht nur Arbeitgeber, Aus-, Fort- und Weiterbildungszentrum. Wer dort arbeitet, kann auch beim gemeinsamen Singen, Fußballspielen oder Englischlernen Spaß mit Kolleginnen und Kollegen haben.
Entsprechend lautet die Maxime der Einrichtung „Fördern und Fordern“. Eine verantwortungsvolle Aufgabe für die rund 100 Fachkräfte – vom Industriemeister bis zum Sozialbetreuer. Yvonne Sarasty Rodriguez ist studierte Architektin und gelernte Schreinerin. Unter ihrer Leitung arbeiten drei Schreiner. Gemeinsam betreuen sie ein 30-köpfiges Team, sorgen für sichere Arbeitsabläufe im Montageraum und an dem knappen Dutzend Maschinen. Frank Vierthaler, der vor seiner Erkrankung im Einzelhandel beschäftigt war, mag sowohl das Arbeiten mit den Händen als auch den Umgang mit Fräse, Schleifmaschine oder Säge. „Ich liebe es, mit Holz zu arbeiten“, sagt er. „Allein dieser Duft!“
In der Schreinerei entstehen aber nicht nur Auftragsarbeiten wie die Transportkiste, sondern auch Produkte für die beiden Verkaufsshops der Einrichtung. Zum bunten Sortiment gehören Nistkästen und Insektenhotels genauso wie Brillenetuis oder Deckel und Träger für die regionaltypischen Ebbelwoi-Gläser. „Jedes Produkt können wir mit einem individuellen Schriftzug oder Motiv gravieren.“
Ich liebe es, mit Holz zu arbeiten. Allein dieser Duft!“
Frank Vierthaler
Das Gleiche gilt für die Artikel, die Mitarbeitende mit Kreativität und Geschick in der Handwerkstatt fertigen: Geschenkideen aus Ton, Papier oder Textilien, von der Grußkarte bis zur Konfettikanone. Während in der Schreinerei die Herren in der Überzahl sind, setzt sich diese Gruppe mehrheitlich aus Damen zusammen. Doch wenn es ums Stricken, Sticken oder Häkeln geht, macht dem 38-jährigen Max Fauer niemand etwas vor. „Selbst ich habe von unserem Handarbeitsprofi schon viel gelernt“, erzählt Gruppenleiterin Christiane Holzhäuser. Und was Max‘ Sitznachbarin Sarah Amirza mit Acryl- oder Lackfarbe veredelt, hat sogar schon Preise gewonnen.
Fünf weitere Dienstleistungsbereiche komplettieren das Portfolio. So nimmt das Montageteam in die Hand, was Maschinen nicht oder nur teilweise können. Eine andere Mannschaft ist auf das Verpacken, Sortieren und Konfektionieren spezialisiert. Die Versandabteilung betreut auf Wunsch sogar das Warenwirtschaftssystem der Kunden. Und zum Geschäft im Büroservice gehört etwa das Scannen von Dokumenten.
Die größte Nachfrage, so Andreas Knoche, entfalle auf die Aktenvernichtung. Rund 55,5 Tonnen Papier führe man jeden Monat dem Recyclingprozess zu. Auch die Süwag vertraut seit Jahren auf die Entsorgung ihrer Akten durch die Werkstätten. Darüber hinaus unterstützt sie den integrativen Zimmersmühlenlauf. 2023 wird er bereits zum 18. Mal stattfinden. Miteinander statt nebeneinander: „Dafür setzen wir uns jeden Tag ein“, sagt Knoche. „Je mehr Menschen erleben, was Frauen und Männer mit Handicap alles leisten, desto näher kommen wir einer inklusiven Gesellschaft.“
Rundum eine gute Sache!
Ihr Arbeitgeber ist auf der Suche nach einem sozialen Engagement? Es lohnt sich, Einrichtungen wie die Oberurseler Werkstätten zu beauftragen: Jedes Unternehmen ab 20 Beschäftigten ist gesetzlich verpflichtet, fünf Prozent seiner Stellen mit Menschen mit Schwerbehinderung zu besetzen. Ist das nicht möglich, wird eine Ausgleichsabgabe fällig. Sie errechnet sich auf Basis der unbesetzten Pflichtarbeitsplätze und der Beschäftigungspflichtquote. Liegt die Quote zum Beispiel zwischen drei und fünf Prozent, müssen Unternehmen 115 Euro pro unbesetztem Arbeitsplatz an das Integrationsamt abführen. Kauft ein Unternehmen Dienstleistungen einer zertifizierten Werkstatt ein, kann es die Hälfte des als Lohnkosten ausgewiesenen Betrags mit seiner Ausgleichsabgabe verrechnen. Aber auch die restliche Summe bewirkt Gutes: Sie fließt in die Sozialkassen, die wiederum die Einrichtungen finanzieren. Ein echter Win-win-Kreislauf!
Unsere Kraft vor Ort
Die Zusammenarbeit mit den Oberurseler Werkstätten ist nur ein Beispiel: Auch an vielen anderen Stellen engagieren wir uns in und für unsere Regionen. Ob Verein, Organisation oder soziales Projekt, ob im Bereich Bildung, Kultur oder Nachhaltigkeit – es gibt viele Menschen, die unsere Heimat für alle ein Stück bunter und lebenswerter machen. Sie möchten wir als starker Partner unterstützen. Mehr über unser Engagement erfahren Sie auf der Süwag-Webseite.
„Echte Teilhabe“
Seit vielen Jahren vertraut die Süwag unter anderem das Vernichten ihrer alten Akten den Oberurseler Werkstätten an. Wie wichtig und wertvoll deren Arbeit ist, weiß ich aus erster Hand. Die erwachsenen Kinder meiner Freunde haben dort eine befriedigende Tätigkeit gefunden. So ist mein Kontakt zur Einrichtung entstanden. Deshalb freut mich besonders, dass die Süwag seit 2010 auch den von den Werkstätten initiierten Zimmersmühlenlauf unterstützt. Damals ist es mir gelungen, auf Anhieb knapp zwei Dutzend Kollegen zum Mitmachen zu motivieren. Mittlerweile sind wir locker 100 und mehr.
Der Lauf steht für gelebte Inklusion. Er bringt nicht nur Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zusammen und baut so Berührungsängste ab. Vielmehr ist er auch ein aufmerksamkeitsstarkes Event für die Werkstätten, um zu zeigen: Wir haben viel zu bieten. Unternehmen können aus einem breit gefächerten Dienstleistungsangebot wählen. Und die Mitarbeitenden der Einrichtung erhalten die Möglichkeit, einer Beschäftigung nachzugehen, die ihren Fähigkeiten, Interessen und Bedürfnissen bestmöglich entspricht.
Auch die Süwag hat sich eine selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe aller Mitarbeitenden zum Ziel gesetzt. In den vier Unternehmen der Gruppe sind insgesamt 70 Frauen und Männer mit Behinderung oder gesundheitlicher Beeinträchtigung beschäftigt. Die vielschichtige Unterstützung – sei es vom Inklusionsbeauftragten, der Schwerbehindertenvertretung oder von meinem Vorgesetzten – hat mir sehr dabei geholfen, meine eigene Diagnose Multiple Sklerose öffentlich zu machen und einen vertrauensvollen Umgang damit zu finden. Als Betriebsratsmitglied weiß ich, dass es anderen ähnlich geht. Gleichwohl ist jeder Mensch anders, braucht jede Beeinträchtigung individuelle Hilfestellung. Das fängt mit einem barrierefreien Arbeitsplatz an und hört bei neu zugeschnittenen oder angepassten Tätigkeitsbereichen noch lange nicht auf. Trotz Handicaps oder Krankheit mittendrin statt nur dabei zu sein, Integration statt Isolation zu ermöglichen: Diese Aufgabe lösen wir nur gemeinsam.
Was können wir tun, um Ihnen als Kundin oder Kunde noch mehr Teilhabe zu ermöglichen? Was wünschen Sie sich von uns?
Schreiben Sie uns an kundenmagazin@ suewag.de
Oliver Ernst, Projektkoordinator, Betriebsrat und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, über inklusives Arbeiten.
Fotos: Sascha Kreklau, Süwag